Biodiversitätspolitik: Großer Handlungsbedarf
Der Rat stellt im Update des Barometers für Biodiversitätspolitik mutlose Vorhaben und fehlende Umsetzung in Österreich fest und fordert entschiedenes Handeln.
Redaktion
Am 4. Forum zu Biodiversität und Ökosystemleistungen präsentiert der Österreichische Biodiversitätsrat seine aktualisierte Einschätzung der Biodiversitätspolitik in Österreich in Form des Barometers 2021: In 19 Punkten haben die Expert_innen jene politischen Pläne und Aktivitäten evaluiert, die zum Stopp des Artenverlusts führen sollen. Im Jahr 2021 kam zwar Bewegung in die Agenden zum Schutz der biologischen Vielfalt, dennoch zeigt das Barometer in nur drei Punkten eine Trendänderung ins Positive. „Wir sehen, dass die politischen Unternehmungen noch viel zu mutlos sind, als dass sie dem fortschreitenden Artenverlust tatsächlich Einhalt gebieten könnten. Eine ökosoziale Steuerreform, welche dem Klimawandel nicht entschlossen entgegentritt, nimmt auch eine Schädigung der Biodiversität in Kauf“, erklärt Alice Vadrot, Politikwissenschafterin an der Universität Wien und Mitglied des Leitungsteams des Biodiversitätsrates.
Auch wenn die Regierungskapazitäten wieder stark von der COVID-19-Pandemie in Anspruch genommen werden, die Krise des Biodiversitätsverlustes schreitet ebenfalls weiter voran: Die Vielfalt der Arten und Ökosysteme reduziert sich auch in Österreich besonders rasch. Ein Jahr nach der erstmaligen Vorstellung des Barometers evaluiert der Österreichische Biodiversitätsrat die Aktivitäten der politisch Verantwortlichen erneut auf ihre Auswirkungen, ob sie das Artensterben und den Verlust der biologischen Vielfalt aufhalten werden können.
Das Resümee des Jahres lautet: „Die wenigen gesetzten Schritte der Politik sind zwar richtig, aber viel zu klein, um größere Wirkungen zu erzielen“, so Irmgard Greilhuber, Botanikerin an der Universität Wien und Mitglied des Leitungsteams des Biodiversitätsrates. Mit dem „Barometer zur Biodiversitätspolitik in Österreich“ wird dieses Fazit klar sichtbar: Im Vergleich zum Barometer aus dem Vorjahr weist das heurige Barometer nur drei Veränderungen auf.
„Die Aufstockung des nationalen Biodiversitätsfonds oder der Beitritt Österreichs in die High Ambition Coalition (HAC) sind – wie vom Biodiversitätsrat auch gefordert – grundsätzlich erfolgt, dennoch ist beispielsweise die Dotierung des Fonds mit EURO 50 Millionen weit von der geforderten Milliarde entfernt“, erklärt Franz Essl, Ökologe an der Universität Wien und Mitglied des Leitungsteams des Biodiversitätsrates.
Die Einbettung des Biodiversitätsschutzes – und damit die Anerkennung einer intakten Umwelt als Grundlage der Gesellschaft – in alle politischen Handlungsfelder ist nicht erfolgt. „Wir warten mit Spannung auf die finale Version der nationalen Biodiversitätsstrategie 2030, die nun mit neuerlicher Verzögerung Anfang 2022 beschlossen werden soll. Derzeit beschäftigen sich die verantwortlichen Politiker_innen mehr mit der Klimakrise. Die damit einhergehende Biodiversitätskrise scheint hier nach wie vor nachrangig zu sein“, so Franz Essl weiter.
Dringend Strukturen schaffen und finanzielle Mittel freigeben
„Auch, wenn ein eigenständiges Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) geschaffen wurde, scheint es mit dem Mainstreaming in die unterschiedlichen Sektoren und anderen Ministerien nicht so zu funktionieren“, erklärt Alice Vadrot. Als Politikwissenschafterin mit Schwerpunkt Umweltpolitik vermisst sie die notwendigen Strukturen sowie eine bessere Aufgabenverteilung zwischen unterschiedlichen Stakeholdern und Sektoren, die für eine gesamtgesellschaftliche Transformation Voraussetzung sind.
Nach wie vor fehlen auch die finanziellen Mittel für ein nationales Biodiversitäts-Forschungsprogramm. „Bis auf einzelne Projekte im Hochschulbereich, die durch die Hochschulen selbst initiiert werden konnten, vermissen wir immer noch das Bekenntnis zur Biodiversität in allen Lehrplänen von Pflicht- und höheren Schulen sowie Fachhochschulen. Meist lesen wir darin über Bioökonomie (Verzicht auf fossile Ressourcen) in Zusammenhang mit Wirtschaft und Wachstum“, betont Andreas Tribsch, Evolutionsbiologe an der Paris-Lodron Universität Salzburg. Der Biodiversitätsrat vermisst auch weiterhin die Einrichtung wissenschaftlicher Dienste im Nationalrat oder die Etablierung eines Umweltrates nach deutschem Vorbild.
Verbesserungen in der Umsetzung von biodiversitätsfördernden Maßnahmen in der Landnutzung wurden nur sehr zögerlich in Angriff genommen. „Für die kommende Programmperiode des Österreichischen Agrar-Umweltprogramms (ÖPUL) wurden sieben Prozent Ausstattung mit Landschaftselementen geplant, dennoch bleibt abzuwarten, wie die endgültige Umsetzung erfolgt“, gibt sich Franz Essl nach wie vor skeptisch. Der längst bekannte hohe Flächenverbrauch in Österreich lag auch 2021 wieder bei täglich 11,5 ha. Im neuen österreichischen Raumentwicklungskonzept vom Oktober 2021 wurde der maximale Bodenverbrauch mit 2,5 ha täglich bis 2030 verankert. „Es gibt Anlass zur Hoffnung. Wir unterstützen diese Vorhaben sehr und möchten die Verantwortlichen dazu motivieren, rasch in die Umsetzung zu kommen“, so Franz Essl.
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