Gehen als Ausweg – meine erste Weitwanderung, der Jakobsweg Weinviertel – Teil 2
Von Drasenhofen nach Krems an der Donau – 150 Kilometer und ca. 1.800 Höhenmeter, zu Fuß in 5 Tagen. Eine Wanderung mit Folgen – zumindest für mich, Peter Suwandschieff, Initiator von packmas.JETZT. Gehen als Ausweg – Teil 2:
Von Peter Suwandschieff
Gehen als Ausweg – Etappe 2: Mistelbach – Ernstbrunn am 14. Oktober 2022, 26,5 Kilometer, 470 Höhenmeter – 6 Stunden Gehzeit.
Ich wachte um 6 Uhr auf, ohne Wecker. Es war etwas verregnet. Die Stimmung dementsprechend. Zumindest am Anfang. Nach einem ausgiebigen Frühstück und ein paar Gesprächen mit wildfremden Menschen ging es mir wieder besser und ich war entschlossen, weiterzumachen. Und das tat ich auch. Die ersten Schritte waren anstrengend. Womöglich lag es daran, dass mein Fokus genau darauf gerichtet war. Ich weiß es nicht. Aber eines weiß ich jetzt. Nach einigen Kilometern waren alle negativen Gefühle auf einmal weg. Und ich ging mein gewohntes Tempo weiter. Rund 5 km/h. Meine Wanderstöcke gaben den Takt an. Und ich begann, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren: Die unglaublich schöne Landschaft und ich als Teil davon. Es war einfach nur schön. Ich fühlte mich wohl und war ganz bei mir. Und dann stellte sich ein Zustand ein, der sich nur schwer beschreiben lässt … Neurobiologen und Coaches nennen es den Flow. Du gehst, ohne zu merken, dass du gehst. Oder viel mehr, ohne zu merken, dass es anstrengend ist. Das Gehen wird selbstverständlich, du hast aufgehört, es zu hinterfragen und machst einfach, was du machen musst, um an dein Ziel zu gelangen. Du gehst.
Erst am Nachmittag klarte der Himmel auf und das Wetter wurde freundlicher. Doch das war mir in diesem Moment schon ziemlich egal. Es spielte für mich keine Rolle mehr, ob es regnet oder die Sonne scheint. Ich war mir sicher, das Richtige zu tun. Und das ist ein sehr schönes Gefühl!
Irgendwie kam mir beim Wandern durch den Regen vor einer richtig gatschigen Stelle plötzlich der Gedanke, dass ich Glück hatte, weil ich die wirklich steilen Passagen mit losem Untergrund eigentlich schon alle hinter mir hatte. Wenn ich die bei dem stärker werdenden Regen noch zu bewältigen gehabt hätte, dann wäre das mit Sicherheit viel rutschiger und schwieriger gewesen. Mit anderen Worten: Ich begann nicht, über das „schlechte“ Wetter zu jammern, sondern hatte den Fokus auf das Positive meiner Situation gerichtet. Und dabei wurde mir klar, dass ich so gesehen schon oft in meinem bisherigen Leben Glück hatte. Und dass ich – wenn ich es mit dieser Einstellung betrachte – auch in Zukunft immer wieder auf die Butterseite fallen werde, völlig egal, welche Herausforderungen da noch auf mich warten würden. Es ist wirklich cool, das Gefühl zu haben, immer Glück zu haben. So geht man mit einem völlig anderen Mindset an die jeweiligen Aufgaben heran. Zumindest war es bei mir so bei meiner ersten Weitwanderung.
Zudem ist mir aufgefallen, dass ich mit jedem Schritt, den ich machte, die Wegweiser und Zeichen immer schneller und deutlicher erkannte, auch aus weiterer Entfernung schon. Der Weg wurde dadurch insgesamt immer klarer und ich wusste immer, in welcher Richtung es gerade weitergeht. Ich konnte mich immer besser durch das unbekannte Terrain navigieren.
Mir wurde aber auch schnell klar, dass ich Energie brauche, um etwas derartig Forderndes zu schaffen! Gute Nahrung mit viel Nährwert für den Körper und Kraftquellen für den Geist bzw. die mentale Stärke. Denn wenn der Kopf nicht mehr mitspielt, lässt auch die körperliche Leistungsfähigkeit nach – Schritt für Schritt! Erbarmungslos. Daraus habe ich für mich auch gleich einen Auftrag für die Zeit nach der Wanderung abgeleitet: Finde heraus, was deine Kraft- oder Energiequellen sind!
Gehen als Ausweg – 3. Etappe: Ernstbrunn – Stockerau am 15. Oktober 2022; 31,5 Kilometer, 470 Höhenmeter – 8,5 Stunden Gehzeit
Das Erwachen an diesem Tag war böse! Meine Beine und Füße taten weh, die Blasen an den Zehen waren aufgegangen. Auf keinen Fall jedoch wollte ich aufgeben. Daher kramte ich die Blasenpflaster aus dem Rucksack und begann mich notdürftig zu verarzten. Nach dem Frühstück ging‘s mir mental gleich wieder besser und ich ging los. Die ersten Kilometer waren sehr schmerzhaft – so sehr, dass ich sogar ans Aufgeben dachte. Doch irgendwas hat mich weiter vorangetrieben und ich konzentrierte mich einfach auf die Schönheit der Natur und die Eindrücke daraus. Außerdem ließ ich es an diesem Tag etwas langsamer angehen. Mit der Zeit kam ich wieder in meinen Rhythmus und spürte die Schmerzen nicht mehr so stark – dennoch war es sehr anstrengend. Es war eine brutale Etappe! Die letzten Kilometer waren eine Qual!
Mit Mühe und Not habe ich mein Quartier erreicht. Und dort angekommen war ich einfach nur stolz auf mich selbst, dass ich es bis hierher geschafft und nicht aufgegeben habe. Ich war stolz, dass all die Schmerzen und auch meine Zweifel für mich kein Grund waren, das Handtuch zu werfen. Es war trotz aller Widrigkeiten einfach zu schön, um aufzuhören! Klingt paradox, ist es womöglich auch. Aber was solls …
Während ich so dahin marschierte, wurde mir immer klarer, dass ich nicht nur Unterstützung beim Navigieren benötigte, sondern auch Halt. Und den gaben mir meine Wanderstöcke. Spätestens dann, wenn meine Beine keine Kraft mehr hatten, wurde mir klar, dass sie nicht nur ein wenig nützliches Accessoire waren, sondern mir die Möglichkeit einräumten, mit meinen Armen nachzuhelfen respektive mich auch entsprechend abzustützen. Wer weiß, ob ich es ohne Wanderstöcke geschafft hätte?!
Außerdem war der Takt, den sie vorgaben, gleichzeitig auch etwas Meditatives. Wandern als Achtsamkeitsübung … Warum nicht? Wobei für mich das Wandern eher nicht mit Meditation vergleichbar ist, maximal kombinierbar ist. Denn während es bei der Meditation das Ziel ist, aufkommende Gedanken ziehen zu lassen und sich auf seinen Körper bzw. das Atmen zu konzentrieren, geht es beim Wandern gar nicht anders, als über alles Mögliche nachzudenken, um sich von der Anstrengung abzulenken; vor allem, wenn man allein ist. Das war jedenfalls meine Erfahrung. Trotzdem habe ich das Gehen als etwas sehr Kontemplatives erlebt. Als etwas, dass noch viel stärker als Meditation ist, weil man auch an seine körperlichen Grenzen kommt – mehrfach … und dabei immer absolut im Hier und Jetzt ist.
Die größte mentale Herausforderung ist die Distanz zum Ziel! Es ist schwierig, ein Ziel anzuvisieren, das man nicht im Blickfeld hat, das man nicht sieht. Da muss man mitunter schon ein paar Tricks anwenden, um den Geist bei Laune zu halten – denn wir wissen ja: Um ans Ziel zu kommen, braucht man nicht nur körperliches Durchhaltevermögen, sondern eben auch mentale Kraft und Ausdauer.
Hier geht’s zu Teil 1 des Berichts:
Hier geht’s zur Webseite des Jakobswegs Weinviertel:
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Fotocredits: Peter Suwandschieff