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Die Helden des Waldes

Pilze sind gesund, schmecken gut und eignen sich für viel mehr als nur den Verzehr. Diese erstaunlichen Organismen haben sogar das Potenzial, die Welt nachhaltig zu verändern und den Wandel hin zu klima- und umweltfreundlichen, biobasierten Produktions- und Konsumweisen zu beschleunigen. Sie sind die Helden des Waldes.

Thomas Pisan

Sie sind weder Flora, noch Fauna, sondern bilden eine ganz eigene Gruppe: Pilze. Diese erstaunlichen Organismen sind vielseitig einsetzbar und verfügen über eine Vielzahl komplexer Eigenschaften, die uns nicht nur dabei unterstützen nachhaltiger zu leben und Ressourcen zu schonen, sondern gleichzeitig helfen, unseren hohen Lebensstandard zu erhalten. Die Möglichkeiten der Pilze sind grenzenlos, sagen manche Mykologen. Ein kleines Wunder ist die Pilzspore. In diesem winzigen Baustein steckt der Plan für komplexes Leben. Sind die Bestandteile einmal identifiziert und isoliert, können sie auch für eine völlig andere Anwendung „umprogrammiert” werden.

Allgegenwärtig, aber dennoch leicht zu übersehen

Zuallererst denken wir bei Pilzen aber (wie so oft) ans Essen. Diese Speisepilze sind aber nur Fruchtkörper, analog zu Äpfeln an einem Baum. Die meisten Pilze leben im Verborgenen, bilden jedoch ein enorm vielfältiges Reich an Organismen. „Je mehr wir über Pilze lernen, desto weniger Sinn macht das Leben ohne sie“, so Biologe Merlin Sheldrake, Fungi-Koryphäe und Verfasser eines dieser „seltenen Bücher (Anm.: Buchtitel: “Verwobenes Leben”), die unser Weltbild wirklich verändern können“, so die einhellige Meinung der Kritiker. Für ihn sind Pilze der Schlüssel zu einem besseren Verständnis des Planeten: „Sie sind in uns und um uns herum. Sie erhalten uns und alles, wovon wir abhängig sind. Pilze verändern das Leben nachhaltig, wie sie es seit mehr als einer Milliarde Jahre tun.“

Obwohl Pilze zu den ältesten Lebewesen der Welt zählen, tappt die Forschung noch weitestgehend im Dunkeln. Weltweit sind Forschungsgruppen und innovative Bio-Tech-Unternehmen aber auf der Suche nach den verborgenen Kräften, die in Pilzen schlummern, um aus ihnen (Bau-)Stoffe der Zukunft zu gestalten. Die Ergebnisse sind vielversprechend und die Anwendungsbereiche zahlreich. Nicht umsonst zählt die Branche weltweit zu den am schnellsten wachsenden in der Start-up-Szene.

Made in Tyrol

Das enorme Potenzial von Pilzen und ihre zentrale Rolle in unserem Ökosystem beschäftigen das Team des Forschungszentrums MRCA (Mushroom Research Center Austria) schon seit einigen Jahren. „Unser Ziel ist es, ihre Einsatzmöglichkeiten für Ernährung, Medizin, Reinigung von Böden und Gewässern, Schädlingsbekämpfung und die industrielle Nutzung zu erforschen und weiterzuentwickeln.“ Einige der bahnbrechenden Forschungs- und Zuchtergebnisse der Pilzforscher können sogar zu Lederersatz oder plastikähnlichen Folien verarbeitet werden.

Diese Grundlagenforschung schafft auch die Basis für die Marke Tyroler Glückspilze, mit einer reichen Fülle biologisch produzierter Vital- & Speisepilze (leicht für Jedermann zu Hause züchtbar), aber auch um die Pilzzucht als relevanten landwirtschaftlichen Zweig in Österreich zu begründen. Immerhin beläuft sich der Ertrag beim Pilzanbau pro Hektar und Jahr auf zirka 800 Tonnen, bei Erdäpfeln sind es lediglich 33 Tonnen, beim Weizen gar nur sechs Tonnen. Derzeit werden 95% der in Österreich verzehrten Speisepilze noch importiert. Ergänzt wird das Portfolio durch spezielle Pilze (Mykorrhiza), die als Pflanzendünger eingesetzt werden können und eine Symbiose mit der Pflanze eingehen. Die Folge sind 20% mehr Ertrag und 50% kürzere Wachstumszyklen. Mastermind Mark Stüttler ist sicher: „Die Nachfrage nach Bio-Pilzprodukten wird definitiv in den nächsten Jahren stark ansteigen.“

Goodbye PET

Der Umgang mit Kunststoffabfällen, die nicht oder nur sehr langsam verrotten oder aufgrund der enthaltenden Additive und Faserzusätze nicht recycelt werden können, gehört zu den größten Herausforderungen unserer Zeit. Die Problemlösung liefert ebenfalls das Vorbild Natur. 

Im Rahmen des Projekts Plastik BioCycling ist es Forschern gelungen, Polyethylen-Flaschen (PET) und Textilabfälle mit der Hilfe von Enzymen in deren Grundbausteine zu zerlegen. „Die Wiedergewinnung der Polymergrundbausteine durch diese Biokatalysatoren erlaubt im Gegensatz zu herkömmlichen, etablierten Prozessen ein Recycling unter umweltfreundlichen Bedingungen – ohne die Verwendung von Chemikalien und hoher Energie. Zudem kann erstmals wirtschaftlich eine Mischung unterschiedlicher Kunststoffe bzw. Naturstoffe und Verbundmaterialien, sogar aus gemischten Abfallströmen extrahiert werden“, erklärt Doris Ribitsch, Senior Scientist am Institut für Umweltbiotechnologie der Universität für Bodenkultur Wien. Weitere Anwendungen der Forschungen, die zusammen mit fünf niederösterreichischen Firmen entwickelt werden, reichen von neuen Bioklebstoffen bis hin zu biobasierten Verkapselungen von Langzeitdüngemitteln.

Pilze schmecken nicht nur gut, sie sind die Helden des Waldes.
©Lumistudio - stock.adobe.com
Pilze schmecken nicht nur gut, sie sind die Helden des Waldes.
©Lumistudio – stock.adobe.com

Mit ihrem Projekt FUNGI MUTARIUM ist es auch Katharina Unger gelungen, mit Hilfe des Pilzes “Pestalotiopsis microspora”, Plastikreste abzubauen. Dazu werden die Pilze auf speziellen Agarformen gezüchtet. Das Agar, ein natürliches Geliermittel aus den Zellwänden einer besonderen Algenart, ist mit Stärke und Zucker vermischt und dient als Nährboden für die Pilze. Die Pilze verdauen die Plastikreste und überwuchern das Substrat. Der Pilz kann im Anschluss sogar gegessen werden.

Im Dienste der Wissenschaft

Schweizer Forschern der Empa (Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt) ist es kürzlich gelungen, das Pigment Melanin, eine wahre Fundgrube für neue Materialien und Technologien, in großen Mengen aus Pilzen zu gewinnen. „Melanin verhält sich äußerst stabil gegenüber Umwelteinflüssen und ist nicht nur als Pigment, sondern auch weit darüber hinaus für die Entwicklung innovativer Komposit-Materialien interessant“, sagt Empa-Forscher Francis Schwarze von der Abteilung Cellulose & Wood Materials.

Die erleichterte und nachhaltige Produktion von Melanin ermöglicht es den Empa-Forschenden nun, Projekte zur Entwicklung innovativer Materialien voranzutreiben. Die Anwendungen des „schwarzen Goldes“ reichen von Holzschutzmitteln über den Bau von Musikinstrumenten bis zur Wasserreinigung: Da Melanin in der Lage ist, Schwermetalle zu binden, kann es für die Entwicklung neuartiger Wasserfilter genutzt werden.

Nachhaltige Textilien

Traditionelles Leder und Kunstleder gelten zunehmend als ethisch bedenklich und umweltproblematisch. “Hier kommen die aus Pilzen gewonnenen lederartigen Materialien ins Spiel, die CO2-neutral sind und am Ende der Nutzungsdauer in der Regel auch vollständig biologisch abbaubar sind”, sagt Alexander Bismarck, von der Fakultät für Chemie der Universität Wien und derzeitig auch Gastprofessor am Imperial College London. Die Produktion von Lederersatzmaterialien aus Pilzen ist über die Wiederverwertung kostengünstiger land- und forstwirtschaftlicher Nebenprodukte (z.B. Sägemehl) möglich. Sie dienen als Grundlage für das Pilzmyzel, also die länglichen röhrenförmigen Strukturen, die das vegetative Wachstum von Fadenpilzen fördern.

Nach einer Zeit des Wachstums kann die Pilz-Biomasse geerntet und physikalisch und chemisch behandelt werden (z.B. pressen, vernetzen). “Im Endergebnis ähneln diese Schichten aus Pilzbiomasse optisch Leder und sie bringen vergleichbare Materialeigenschaften und haptische Merkmale mit”, sagt Institutsleiter Alexander Bismarck. Erste Biotech-Unternehmen vermarkten bereits die aus Pilzen gewonnen Materialien.

Auch die Verwendung von Pilzmyzel zur Herstellung von Werkstoffen wie Pilz-Gewebe und -Plastik ist vielversprechend. Aus den pilzbasierten Stoffen könnten so in Zukunft Schallabsorber und Dämmmaterial entstehen, zudem Kleidungsstücke, Möbel sowie Kapselungen bei Elektrogeräten. In den Laboratorien des Instituts für Biotechnologie der TU Berlin wurde zudem ein Prototyp eines Fahrradhelms aus Pilzkomposit entwickelt.

Keine Grenzen

Besonders Mikroorganismen wie Bakterien oder Pilze können aber auch eine Vielzahl an verschiedenen Naturstoffen mit hohem Anwendungspotenzial als Antibiotika oder Krebstherapeutika produzieren. Dazu gehört auch die sogenannte Rote Hefe aus der Art Rhodotorula mucilaginosa. Wissenschaftler des GEOMAR und der Universität Kiel haben diese Hefe aus Tiefsee-Sedimentproben des Mittelatlantischen Rückens isoliert und sie hinsichtlich ihres Genoms sowie ihres chemischen Wirkstoff-Repertoires untersucht. Gemeinsam konnten die Forscher die antibakterielle und krebshemmende Wirkung der Wirkstoffe nachweisen.

Pilze haben mittlerweile aber auch Einzug in die Popkultur gefunden; bei Ausstellungen, in Musikvideos, oder als Inspirationsquelle für Mode und Design. Mushroom Musiker Noah Kalos bringt seine eigens gezüchteten Gewächse mit Hilfe von Synthesizern sogar zum Singen. Vielleicht erzählen sie uns ja bald welches Potenzial noch in ihnen steckt: Denn die Möglichkeiten der Pilze sind offensichtlich grenzenlos.

Fotocredit Aufmacherfoto: Peter Suwandschieff

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