Tag der Meere: Warum an nachhaltiger Fischerei kein Weg vorbeiführt
Der 8. Juni ist internationaler “Tag der Meere”: Die Vereinten Nationen wollen damit an die Bedeutung, aber auch an die Fragilität der Weltmeere erinnern.
Redaktion
Die Meere brauchen unseren Schutz und jeder ist aufgerufen, dabei zu helfen. Eine leicht umzusetzende Maßnahme, die Verbraucher und Verbraucherinnen direkt ergreifen können, ist der Kauf von nachhaltig gefangenem Fisch – erkennbar am blauen MSC-Siegel.
Die weltweite Nachfrage nach Fisch und Meeresfrüchten steigt kontinuierlich, das Ausmaß überfischter Fischbestände leider auch. Der Marine Stewardship Council (MSC) ist mit dem Auftrag gestartet, die Fischerei in aller Welt in nachhaltige Bahnen zu lenken. Seit mehr als 20 Jahren können sich Fischereien rund um den Globus freiwillig nach MSC-Umweltstandard bewerten lassen. MSC-zertifizierte Produkte im Einzelhandel haben in Deutschland mittlerweile einen Anteil von 40 Prozent (gemessen am Wildfischsortiment) erreicht. Da liegen Fragen nahe: Kann ein Umweltsiegel zur Bewahrung der Meere beitragen? Und was genau bringt der MSC den Meeren?
Den Tag der Meere nehmen wir zum Anlass, Bilanz zu ziehen und in die Zukunft zu schauen. Stefanie Kirse, Leiterin des MSC für den deutschsprachigen Raum, im Interview:
Immer wieder werden Stimmen laut, nachhaltige Fischerei sei gar nicht möglich. Was ist da dran?
Stefanie Kirse, MSC: Die Behauptung, Fischfang könne nicht nachhaltig sein, ist schlichtweg falsch. Es gehört zu den erstaunlichsten Fähigkeiten von Fischbeständen, dass sie sich regenerieren und immer wieder auf eine gesunde Bestandsgröße anwachsen können, wenn sie nachhaltig befischt werden.
Wir müssen uns jedoch im Klaren sein, dass, wenn wir marine Ressourcen für die menschliche Ernährung nutzen wollen, eine Beeinträchtigung des Ökosystems nicht ganz zu vermeiden ist – genauso, wie es auch an Land der Fall ist: Jede menschliche Aktivität greift in die Ökosysteme ein. Daher kann es bei allen Maßnahmen immer nur darum gehen, die Umweltauswirkungen zu minimieren. Sie auf null zu reduzieren, wird nicht gelingen.
Kann ein Siegel wie das des MSC die Weltmeere und Fischbestände schützen?
Stefanie Kirse, MSC: Nur eine nachhaltige Fischerei kann unsere Meere gesund und die Ressource Fisch langfristig erhalten. Der MSC allein kann die Fischbestände nicht schützen, aber er kann dazu beitragen. Wir wünschen uns, dass alle – Regierungsbehörden, Fischereien, Märkte – noch stärker an einem Strang ziehen.
Der MSC möchte die Fischerei in nachhaltige Bahnen lenken, aber er ist kein Allheilmittel. Der MSC kann die Fischereiindustrie nicht regulieren. Das können nur Gesetzesgeber. Und genau an diesen Regulierungen mangelt es; sie international durchzusetzen, macht die Sache nicht einfacher. Doch auch Lebensmittelhändler und Verbraucher können viel für den Schutz der Ozeane tun, denn sie sitzen an entscheidenden Schalthebeln. Und genau hier helfen freiwillige Nachhaltigkeitsinitiativen wie der MSC, die Weichen richtig zu stellen. Unsere Arbeit fußt auf der Tatsache, dass ein wirtschaftlicher Anreiz ein wirkungsvoller Hebel für mehr Nachhaltigkeit ist. Je mehr Verbraucher und Lebensmittelhändler nachhaltig gefangenen Fisch mit MSC-Siegel nachfragen, desto eher sehen Fischereien sich veranlasst, ihre Leistung auf den Prüfstand zu stellen und, wo nötig, Veränderungen vornehmen, um dem MSC-Umweltstandard gerecht zu werden.
Einige NGOs bemängeln, dass die MSC-Kriterien zu lasch und die Messlatte für Nachhaltigkeit in der Fischerei zu niedrig angesetzt seien. Warum ist der MSC im Sinne der Nachhaltigkeit nicht strenger?
Stefanie Kirse, MSC: Die Herausforderung liegt darin, die Anforderungen an nachhaltigen Fischfang zugleich wirksam und erfüllbar zu gestalten. Sind die Kriterien eines Standards so anspruchsvoll, dass kaum eine Fischerei sie erfüllen kann, kann auch der beste Standard keine Veränderungen bewirken. Gleichzeitig gilt natürlich auch: Sind sie zu anspruchslos, bleibt die Wirkung in und auf unseren Meeren ebenfalls aus.
Nachhaltige Fischerei ist ein sehr komplexes Thema. Es gibt unterschiedliche Einstellungen dazu, was darunter zu verstehen ist – wo die Messlatte für eine nachhaltige Fischerei angelegt werden soll, wird heftig debattiert. Viele Meinungsverschiedenheiten liegen in unterschiedlichen Wertvorstellungen und Ansichten begründet, was nachhaltige Fischerei beinhalten muss. Das Ziel des MSC ist die Nutzung mariner Ressourcen unter Einhaltung strenger Nachhaltigkeitsanforderungen. Dadurch unterscheidet sich unsere Herangehensweise zum Teil grundlegend von anderen Umweltorganisationen, die den reinen Schutzgedanken der Ressource in den Vordergrund stellen.
Mit nur rund 15 Prozent des weltweiten Fangs, die MSC-zertifiziert sind, bewegen wir uns immer noch in einer Nische. Schon allein diese Tatsache zeigt, dass unser Standard sehr anspruchsvoll ist, denn es ist nicht mangelndes Interesse von Fischereiseite, das diesen Prozentsatz so niedrig hält.
Wo sieht der MSC seine größten Erfolge?
Stefanie Kirse, MSC: Den größten Erfolg sehe ich darin, dass die Arbeit des MSC in unseren Meeren merkbar Spuren hinterlässt. Entscheidend ist: Wir können unsere Erfolge belegen. Seit der ersten Zertifizierung einer Fischerei im Jahr 2000 haben MSC-zertifizierte Fischereien über 2000 messbare Verbesserungen auf und in unseren Meeren bewirkt: Schutz von bedrohten Arten und sensiblen Lebensräumen, weniger Beifang, mehr Forschung, bessere Kontrollen und effektiveres Management. Hinzu kommen all jene Verbesserungen, die Fischereien schon im Vorfeld ihres Bewertungsprozesses umgesetzt haben, um überhaupt eine Chance auf eine erfolgreiche Zertifizierung zu haben. Der positive Beitrag, den MSC-zertifizierte Fischereien zum Schutz der Weltmeere leisten, wurde 2020 von zwei UN-Gremien anerkannt [1] – was zeigt, dass MSC-zertifizierte Fischereien bei der Bekämpfung der Überfischung und der Unterstützung der biologischen Vielfalt der Meere eine Vorreiterrolle einnehmen.
Dass heute rund 15 Prozent der weltweiten marinen Fangmenge MSC-zertifiziert sind, sehen wir als einen großen Erfolg. Es zeigt aber auch, dass es noch viel zu tun gibt.
Was sind die Ziele des MSC für die nächsten 20 Jahre?
Stefanie Kirse, MSC: Unser wichtigstes Ziel gilt auch in Zukunft: Fischereien rund um den Erdball in nachhaltigere Bahnen zu lenken, um Überfischung weltweit zu beenden. Rund 60 Prozent der weltweiten Gesamtfangmenge an Fisch und Meeresfrüchten werden im globalen Süden gefangen. Das Gros der MSC-zertifizierten nachhaltigen Fischereien ist in europäischen und nordamerikanischen Gewässern anzutreffen. Der MSC arbeitet daher mit verschiedenen Initiativen daran, sein Programm stärker Fischereien im globalen Süden zugänglich zu machen – auch wenn diese zumeist klein und handwerklich sind und mit Problemen zu kämpfen haben, die eine Zertifizierung schwierig machen: ineffektives Fischereimanagement, wenig staatliche Unterstützung, unzureichende Daten und finanzielle Ressourcen.
Und es reicht nicht, nur neue Fischereien mit ins Boot zu holen, sie müssen auch langfristig nachhaltig fischen. Seit der ersten Fischereizertifizierung im Jahr 2000 haben 16 Prozent der Fischereien ihr Zertifikat wieder verloren, weil sie ihren Auflagen nicht nachgekommen sind und / oder die MSC-Kriterien nicht mehr erfüllen konnten.
Einzelne Fischereien betreiben einen enormen Aufwand, ihre Nachhaltigkeit zu verbessern. Doch allein können sie dies oft nicht schaffen. Weit wandernde Fischarten, wie zum Beispiel der atlanto-skandische Hering und der Thunfisch, achten nicht auf Landesgrenzen. Wir setzen uns daher für internationale Vereinbarungen ein, die Ökosysteme als Ganzes und entlang wissenschaftlicher Empfehlungen managen, anstatt die Fischerei lediglich national zu verwalten. Wir wünschen uns, dass alle – Regierungsbehörden, Fischereien, Märkte – noch stärker an einem Strang ziehen. Seit mehr als 20 Jahren bereits bringt der MSC diese verschiedenen Lager zusammen, und wir werden diesen holistischen Ansatz auch in Zukunft verfolgen.
Foto: Pixabay
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